Principes fondamentaux de l’histoire de l’art

Der Schweizer Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin (1864–1945) gehört zu den wichtigsten und einflussreichsten Denkern und Autoren des Faches. Die Wirkung seiner Kunstwissenschaft und Ästhetik ging aber auch weit über die Grenzen der Disziplin hinaus, war von weltweiter Aus-strahlung und erreichte auch ein nicht akademisches Publikum. Obwohl Wölfflins Schriften zu den Fundamenten der Kunstwissenschaft gehören, sind heute die meisten von ihnen vergriffen. Viele relevante Aufsätze sind weit verstreut, und seine berühmten Vorlesungen sind nahezu vollständig unveröffentlicht. In der vorliegenden durch den Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF) geförderten Edition werden erstmals Heinrich Wölfflins gesammelte Werke (HWGW) vollumfänglich der kunsthistorischen und interdisziplinären Forschung zur Verfügung gestellt.
Die Werke werden der Leserschaft in einer kritischen, kommentierten Edition der Texte und des Bildmaterials sowie mit einer maßgeblichen Einleitung pro Band wissenschaftlich erschlossen. Vorgesehen ist die Zusammenarbeit eines wissenschaftlichen Teams mit dem Schwabe Verlag, der die Rechte auf die Hauptwerke Wölfflins innehat und höchste wissenschaftliche Publikationsqualität garantiert.
Die Edition erlaubt es erstmals, Wölfflins Überlegungen vor und nach der Publikation der jeweiligen Schriften nachzuvollziehen sowie methodologische und thematische Aspekte hervor-zuheben, die sich nur als Teil einer oral und visual history erhalten, nicht aber in Publikationen niedergeschlagen haben. Ein wesentlicher Mehrwert der Edition gegenüber den wenigen heute noch erhältlichen Schriften besteht in den Einleitungen, dem Kommentar, den Apparaten und den Abbildungen. Für künftige historiografische Forschung in der Kunstgeschichte und der benachbarten Disziplinen – ein Feld, das seit zwei Jahrzehnten weltweit sehr aktiv ist – wird die kommentierte und neu bebilderte Edition der publizierten und unpublizierten Schriften sowie Vorlesungen Wölfflins eine neue, verlässliche und materialreiche Grundlage bieten. Auf dieser Basis werden neue Fragestellungen in Bereichen der Wissenschaftsgeschichte, Kunsttheorie oder Global Art History generiert.
Viele der zahlreichen kleineren Schriften (Aufsätze, Rezensionen, Zeitungsartikel, Vorlesungs-manuskripte etc.) sind weit verstreut und schwer zugänglich. Gerade in Anbetracht der erschwer-ten Zugänglichkeit der Originaltexte ist dem Editionsprojekt überaus große Relevanz für die Forschungsgemeinschaft beizumessen. Es ist davon auszugehen, dass sie weltweit neue For-schungen und Untersuchungen zu Wölfflin und dem wissenschaftsgeschichtlichen Kontext anstoßen wird.
Jedem Band der Monographien und der Kleinen Schriften wird eine längere, substantielle Einleitung namhafter Forschender vorangestellt, in der das jeweilige Werk kunst- und wissen-schaftshistorisch kontextualisiert wird. Hierbei werden folgende Aspekte berücksichtigt: 1. Untersuchungsgegenstand und Inhalt, 2. Entstehungsgeschichte, 3. Wissenschaftshistorischer Kontext 4. Methodologische Einordnung, 5. Verwendung des Bildmaterials, 6. Verortung innerhalb des Gesamtwerks Wölfflins, 7. Spätere Ausgaben und Kommentare, 8. Rezeptionsgeschichte und Aktualität. Daraus resultiert ein jeweils neuer progressiver Forschungsbeitrag mit Referenzcharakter, der für die Leserschaft einen deutlichen Attraktivitätsgewinn darstellt.
Als Textgrundlage für die Editionsarbeit dient jeweils die Erstausgabe unter Verweis auf die Ori- ginalpaginierung. Die Edition unterliegt einheitlichen Richtlinien und hält sich dabei eng an die Originaltexte. Im Sinne der Lesbarkeit ist keine streng philologische Untersuchung und Material- aufbereitung geplant. Vielmehr wird im Rahmen editorischer Bemerkungen im Apparat auf rele- vante Änderungen zwischen den Textfassungen unterschiedlicher Ausgaben verwiesen. Gestri- chene oder stark überarbeitete Textabschnitte späterer Ausgaben, wie auch Notizen aus Wölfflins eigenen Autorenexemplaren und Paralipomena werden, wo eine eindeutige Zuordnung gewähr- leistet ist, im Kommentar berücksichtigt.
Wölfflins wissenschaftliche Fundierung der Kunstgeschichte als eine Geschichte des Sehens wird in seiner Verwendung von Bildern in Lehre und Forschung performativ evident. Daher sind die Illustrationen seiner Schriften von größter Bedeutung. Viele der Publikationen sind aus Vorle-sungen hervorgegangen, weswegen ihre Rekonstruktion einen signifikanten Beitrag zur visuellen Geschichte des Faches darstellt. Um dem fotografischen Medium, das er mit seiner sehr umfang-reichen Fotosammlung für die Forschung und mit seiner Diasammlung für die Lehre eingesetzt und medienkritisch kommentiert hat, im Editionsprojekt wissenschaftlich gerecht zu werden, werden die Abbildungen nicht wie bisher aus der Erstausgabe reproduziert, sondern auf Grundlage der Originalfotos neu eingescannt.
Die Edition soll die Voraussetzungen für weiterführende Wölfflin-Forschungen schaffen. Die Kommentare konzentrieren sich daher auf wesentliche, erläuternde Informationen, die zur Ver- ständniserschließung des jeweiligen Werkes in dessen kunstwissenschaftsgeschichtlichem Ge- samtzusammenhang beitragen. Sie sind vom Umfang her auf circa 12 % des Textumfangs des je- weiligen Bandes begrenzt. Dabei werden primär Informationen berücksichtigt, die einen Einblick in das intellektuelle Netzwerk Wölfflins zulassen. Dazu gehört die Erschließung der Literatur, die der Autor selbst zu der jeweiligen wissenschaftlichen Arbeit herangezogen hat. Objektidentifizie- rungen und die jeweils angewandte Methodik der wissenschaftlichen Analyse von Kunstwerken werden durch Hinweise in einen größeren Zusammenhang eingeordnet.
Auf historische, kultur- und philosophiegeschichtliche Kontexte wird knapp verwiesen. Die heutige Forschungssituation wird ebenfalls in den Kommentaren berücksichtigt, wobei eine Auswahl im Sinne einer Beschränkung auf gelegentliche Literaturhinweise angebracht erscheint, da die Sekundärliteratur über Wölfflin bereits außerordentlich umfangreich ist. Vielmehr wird dieser Aspekt umfassend in den Einleitungen gewürdigt. Wölfflins Anmerkungen in dessen ei-genen Autorenexemplaren werden in die Kommentare aufgenommen. Erschlossen werden hier außerdem erläuterungsbedürftige Begriffe sowie sonstige forschungsrelevante Passagen.
Die Apparate umfassen neben den allgemeinen Editionsgrundsätzen und einer Zusammen-fassung der textkritischen Beobachtungen das Originalregister, neue Register (Ortsregister, Personenregister, von Wölfflin zitierte Literatur als Stellenregister) sowie ein neues Abbildungsverzeichnis mit Abbildungsnachweis.